Abstract:
Die Reformation in Deutschland veränderte die Welt und schaffte anschließend ganz andere ethische und wirtschaftliche Verhältnisse. Martin Luther und Johannes Calvin kamen jedoch nicht aus dem Nichts. Schon ein Jahrhundert vor ihm war die Zeit von verschiedenen religiösen Reformversuchen bestimmt. Zwei von Luthers Vorläufern lebten in Böhmen, es waren Jan Hus (ca. 1369-1415) und Hieronymus von Prag (ca. 1378/9-1416), der als Student in Oxford John Wycliffes Gedanken nach Prag brachte und den damaligen Dekan der dortigen philosophischen Fakultät, Jan Hus, damit zu großen Predigen inspirierte. Jan Hus erhielt auch eine begeisterte Unterstützung durch den böhmischen Adel, das Prager Bürgertum sowie das einfache Volk. Seine Reformation blieb deshalb keine binnentheologische Angelegenheit, sondern wurde zu einer politischen Macht und einem revolutionären Vorhaben. 1415 wurde Jan Hus zum Konzil von Konstanz geladen, dort aber verurteilt und verbrannt, obwohl ihm freies Geleit zugesichert worden war. Sein Märtyrertod löste in Böhmen Aufstände aus, die in die bürgerkriegsähnlichen Hussitenkriege (1419-1436) mündeten. Die wichtigsten Forderungen der Hussiten (freie, biblische Predigten; Austeilung des Abendmahls in Brot und Wein; Trennung von Kirche und weltlicher Herrschaft; Überwindung von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten) sowie Gottesdienst in der Landessprache, also zentrale Forderungen Luthers, waren schon einhundert Jahre vor ihm in Böhmen umgesetzt worden.